Intern
Prof. Dr. Florian Bien

Umsatzrabatte: Das Bundeskartellamt beurteilt die Rabatte des Pharmaherstellers Merck als gleichwertig zu einem Exklusivvertrag, den es bereits zuvor verboten hat

04.10.2012

Bundeskartellamt veröffentlicht Beschluss vom 19. Mai 2011

Foto: Bundeskartellamt

Im Jahr 2004 hatte die Merck KGaA mit dem Labormittelchemikalienhändler VWR einen Alleinbelieferungsvertrag für Laborchemikalien abgeschlossen. Mit Beschluss vom 14. Juli 2009 (B3-64/05) stellte das Bundeskartellamt fest, dass die Alleinbelieferung für bestimmte Gruppen der Laborchemikalien gegen Artikel 81 EGV [jetzt: Art. 101 AEUV] und die parallele deutsche Vorschrift § 1 GWB sowie gegen das Diskriminierungsverbot gemäß § 20 Abs. 1 und 2 GWB verstößt. Merck und VWR wurde untersagt, den Vertrag in der bisherigen Form weiter zu praktizieren. Das Bundeskartellamt hat Merck verpflichtet, nicht nur VWR, sondern den gesamten Laborchemikalienhandel direkt und diskriminierungsfrei mit den betroffenen Laborchemikalien zu beliefern. Merck führte daraufhin ein neues Rabattsystem für die nicht mehr der Exklusivität unterliegenden Produktgruppen ein. Aus Sicht des Bundeskartellamts versucht Merck mit dem nunmehr eingerichteten Rabatt¬system, das Verbot der Exklusivbelieferung von VWR zu umgehen. Merck hat nach Überzeugung der Kartellbehörde sein Rabattsystem mit dem Ziel eingesetzt, Wettbewerber von VWR soweit wie möglich vom Vertrieb seiner Waren auszuschließen. Das Bundeskartellamt hat daher mit dem am 5. September 2012 veröffentlichten Beschluss vom 19. Mai 2011 (B 3 – 139/10) seinen ersten Beschluss betreffend den Verstoß von Merck gegen § 20 Abs.1, 2 GWB konkretisiert. Es verpflichtet Merck erneut, das Rabattsystem diskriminierungsfrei auszugestalten. Konkret verlangt es, dass Merck das Rabattsystem rückwirkend dergestalt ändert, dass der Unterschied zwischen dem niedrigsten und dem höchsten erreichbaren Jahresumsatzbonus nicht mehr als sieben Prozentpunkte beträgt.

Mercks Rabattsystem diskriminiert Wettbewerber des Abnehmers VWR

Als markstarkes Unternehmen darf Merck die Wettbewerber von VWR ohne sachlichen Grund nicht unterschiedlich behandeln. Die Vorschrift § 20 Abs. 1 GWB verbietet es marktbeherrschenden Unternehmen, andere Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich zu behandeln. Absatz 2 der Vorschrift dehnt den Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbotes auf marktstarke Unternehmen aus. Es handelt sich um solche Unternehmen, von denen kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmen Art von Waren abhängig sind. Das Bundeskartellamt beantwortet in einem ersten Schritt die Frage, ob das von Merck praktizierte, gesamtumsatzabhängige Rabattsystem angesichts der sich stark unterscheidenden Umsätze der Abnehmer von Merck eine objektive Ungleichbehandlung im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB darstellt. Das streitgegenständliche Rabattsystem sieht einen gestaffelten Rabatt für die Abnehmer Mercks vor, der sich am Gesamtjahresumsatz eines Händlers mit Merck orientiert. Angesichts der stark divergierenden Umsätze, die die verschiedenen Händler mit Merck-Produkten erzielen, führt das Rabattsystem zu einer starken Spreizung der tatsächlich gewährten Rabatte. Die Tatsache, dass gleiche Jahresumsätze zu gleichen Rabatten führen, reiche nicht aus, um eine Ungleichbehandlung auszuschließen. Vielmehr führe die Rabattstaffelung zu einer gezielten und erheblichen Bevorzugung VWRs.

Das Bundeskartellamt verneint eine sachliche Rechtfertigung

Das Bundeskartellamt sieht keine sachliche Rechtfertigung für die festgestellte Ungleichbehandlung. Zwar habe Merck grundsätzlich ein legitimes Interesse daran, ihre Abnehmer zu höheren Weiterverkaufsanstrengungen zu motivieren. Zu diesem Zweck seien aber bereits geringe Rabattzuwächse ausreichend. Die Rabattzuwächse könnten zudem zum Beispiel an prozentuale Umsatzzuwächse anstatt an absolute Umsatzgrößenklassen anknüpfen. Dem Interesse Mercks stehe das Interesse der Wettbewerber VWRs gegenüber, sich im Wettbewerb um die Abnehmer von Merck-Produkten gegen VWR durchsetzen zu können. Dies werde den Wettbewerbern durch die vorliegende Rabattspreizung in Verbindung mit der Marktsituation verwehrt. Auch sei eine Ungleichbehandlung nicht mit geringeren Vertriebskosten aufgrund von Großaufträgen gerechtfertigt. Mangels eigener Lagerhaltung gebe VWR – anders als seine kleineren Wettbewerber – sogar vergleichsweise viele Kleinbestellungen auf.

Preisdiskriminierung auf dem nachgelagerten Fall bleibt in beschränktem Umfang erlaubt

Im vorliegenden Fall stehen nicht, wie üblich, die Auswirkungen auf den Markt des marktmächtigen Unternehmens, das das Rabattsystem zur Preisdiskriminierung einsetzt, („primary line competition“) im Mittelpunkt der Betrachtung. Sie werden lediglich als Schranken möglicher Rechtfertigungsgründe relevant. Das Bundeskartellamt beschäftigt sich vornehmlich mit der Situation auf dem nachgelagerten Markt („secondary line competition“).

Hervorzuheben ist, dass das Bundeskartellamt Merck auch zukünftig eine gewisse Spreizung der gewährten Rabatte erlaubt. Auch ein marktstarkes oder gar marktbeherrschendes Unternehmen ist nicht verpflichtet, seine Abnehmer zu identischen Bedingungen zu beliefern. Die aufgrund von Mercks Rabattsystem möglichen Preisunterschiede dürfen aber maximal sieben Prozent betragen.

Die Formulierung einer geeigneten Abhilfeverfügung erweist sich als schwierig

Das Verfahren gegen Merck illustriert anschaulich die Schwierigkeiten, vor denen die Kartellbehörden stehen, wenn sie versuchen, das wettbewerbsbeschränkende Verhalten von marktstarken oder gar marktbeherrschenden Unternehmen zu unterbinden. Stets ist damit zu rechnen, dass der Adressat der Abstellungsverfügung versucht, die behördliche Verfügung durch ein alternatives Vertriebssystem zu umgehen. So scheint es Merck vorliegend gelungen zu sein, den vom Bundeskartellamt zunächst verbotenen Allein¬vertrieb durch Einführung des stark diskriminierenden Rabattsystems de facto beibehalten  zu haben. Das Bundeskartellamt deutet an, dass das Rabattsystem möglicherweise zusätzlich auch noch eine gewisse Treuewirkung entfaltet und damit Mercks kleinere Wettbewerber behindert hat. Die Situation des Bundeskartellamts erinnert damit ein wenig an den Kampf gegen die mythische Schlange Hydra. Schlägt man ihr einen Kopf ab, wachsen an seiner Stelle zwei neue nach.

(FB und PR)

Missbräuchliche Rabattsysteme sind auch Gegenstand des Forschungsprojekts Preisbezogene Behinderungsmissbräuche im ökonomisierten Unionskartellrecht.

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