Intern
Prof. Dr. Florian Bien

Bien/Rummel, Ende des More Economic Approach bei der Beurteilung von Rabattsystemen?, EuZW 2012, 737 - 740

08.10.2012

Zugleich Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 19.4.2012 – C-549/10 P, Tomra

"IV. Zusammenfassung und Ausblick

1. Das Tomra-Urteil des EuGH steht in der Tradition des europäischen case law zu missbräuchlichen Rabattsystemen. Die Beurteilung des von Tomra praktizierten Rabattsystems erfolgte auf Grund qualitativer Kriterien (rückwirkende Rabattgewährung und individualisierte Rabattschwellen, außerdem Selektivität der Rabattgewährung).

2. Einen Preis-Kosten-Vergleich hatte die Kommission nicht durchgeführt. Nach Ansicht des EuGH war ein solcher Vergleich vorliegend nicht erforderlich. Darin eine endgültige Absage des EuGH an den more economic approach bei der Beurteilung von Rabattsystemen zu sehen, ginge zu weit. Die Entscheidung der Kommission erging vor Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung. Schon deshalb ist es konsequent, dass der EuGH den von der Kommission dort beschriebenen modifizierten Kosten-Preis-Vergleich nicht zum Maßstab erhebt. Angesichts der mit seiner Anwendung verbundenen Schwierigkeiten, die noch deutlich über die Durchführung des equally efficient competitor-Tests bei sonstigen preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen hinausgehen, äußert sich selbst die Kommission zurückhaltend hinsichtlich seiner zukünftigen praktischen Bedeutung. Mit der INTEL-Entscheidung der Kommission liegt bislang nur eine einzige Kostprobe einer Anwendung des Kosten-Preis-Vergleichs auf ein System bedingter Rabatte vor. Für eine abschließende Stellungnahme durch die Luxemburger Richter ist das sehr wenig Material. Es erscheint daher unwahrscheinlich, dass die anstehenden Entscheidungen der europäischen Gerichte in der Rechtssache INTEL viel mehr Klarheit in der Frage bringen, welche Bedeutung dem Kosten-Preis-Vergleich bei der Beurteilung von Rabattsystemen zukommen wird.

3. Die Existenz einer de minimis-Schwelle bei der Anwendung von Art. 102 AEUV lehnt der EuGH zu Recht weiterhin ab. Angesichts eines von Tomra abgeschotteten Marktanteils von 39% war dem von Tomra vorgebrachten Rechtsmittelgrund aber ohnehin jeder Erfolg von vornherein versagt. Mindestens theoretisch in Betracht käme unter diesem Gesichtspunkt aber eine – von Tomra vorliegend allerdings nicht geltend gemachte – Rechtfertigung des unter das Verbot des Marktmachtmissbrauchs fallenden Verhaltens."


Hier geht es zum Urteil des EuGH vom 19.4.2012 (C-549/10 P).
Hier geht es zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Ján Mazák vom 2.2.2012.
Hier geht es zum Urteil des EuG vom 9.9.2010 (T - 166/06).
Hier geht es zur Entscheidung der Kommission vom 29.3.2006 (Case COMP/E-1/38.113 – Prokent-Tomra).


Missbräuchliche Rabattsysteme sind auch Gegenstand des Forschungsprojekts Preisbezogene Behinderungsmissbräuche im ökonomisierten Unionskartellrecht.

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