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Prof. Dr. Florian Bien

EuGH-Urteil in Sachen TeliaSonera bringt Licht ins Dunkel der Kosten-Preis-Schere

20.04.2012

EuGH, Urteil vom 17.2.2011 – Rs. C-52/09 - TeliaSonera

Europäischer Gerichtshof (Foto: J. H.)

In einem am 17. Februar 2011 ergangenen Urteil hat der Europäische Gerichtshof erneut Stellung zu Fragen der Kosten-Preis-Schere genommen. Ausgangspunkt war ein in Schweden eingeleitetes Vorabentscheidungsverfahren durch das Stockholmer Bezirksgericht (Stockholms tingsrätt). Die schwedische Wettbewerbsbehörde (Konkurrensverk) hatte die Rechtsnachfolgerin des ehemals staatlichen schwedischen Telefonnetzbetreibers und Eigentümerin der schwedischen Teilnehmeranschlussleitungen TeliaSonera Sverige AB (nachfolgend „TeliaSonera“) auf Zahlung einer Geldbuße verklagt wegen Verletzung nationalen Wettbewerbsrechts und von Art. 82 EG (jetzt Art. 102 AEUV). Die Behörde war der Ansicht, dass TeliaSonera  ihre marktbeherrschende Stellung durch eine Preisgestaltung missbrauchte, bei der die Spanne zwischen dem Preis für ADSL-Vorleistungsprodukte (vorgelagerter Markt) und dem Endkundenpreis für die angebotenen Dienste (nachgelagerter Markt) nicht ausreichend gewesen sei, um ihre eigenen Kosten für die Erbringung dieser Dienste an die genannten Endkunden zu decken. Im Rahmen des Verfahrens legte das Stockholms tingsrätt dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor, die sich mit den Voraussetzungen einer Kosten-Preis-Schere befassten.

 

Der Gerichtshof knüpft in seiner Entscheidung zwar an die bereits im Verfahren Deutsche Telekom (Rs. C-280/08 P) entwickelten Grundsätze zur Kosten-Preis-Schere an. Das Urteil beschränkt sich jedoch nicht auf diese, sondern enthält einige wichtige neue Nuancen, die zu größerer Klarheit hinsichtlich der Voraussetzungen einer Kosten-Preis-Schere führen dürften:

(1) Der Gerichtshof hält weiter daran fest, dass die Kosten-Preis-Schere auch dann missbräuchlich sein kann, wenn weder die Vorleistungs- noch die Endkundenpreise des marktbeherrschenden Unternehmens für sich genommen missbräuchlich sind (Tz. 31 des Urteils). Normtechnisch verankert der Gerichtshof die Kosten-Preis-Schere bei Art. 102 lit. a) AEUV (Erzwingung „unangemessener Preise“). Damit distanziert sich der Gerichtshof von der im Prioritätenpapier geäußerten Auffassung der Kommission, die Kosten-Preis-Schere sei ein Unterfall der Lieferverweigerung. (2) Der EuGH bestätigt erneut, dass es zur Feststellung einer Kosten-Preis-Schere vornehmlich darauf ankommt, ob die Spanne zwischen Vorleistungs- und Endkundenpreis des vertikal integrierten Unternehmens die eigenen produktspezifischen Kosten im Endkundenmarkt deckt (Tz. 32). Damit stellt der Gerichtshof zum wiederholten Male auf den sog. as efficient competitor test ab. Der sog. reasonably efficient competitor test wurde hingegen nicht völlig ausgeschlossen. So soll in Ausnahmefällen auf den Wettbewerber abgestellt werden können, wenn bspw. die Kostenstruktur des beherrschenden Unternehmens aus „objektiven Gründen nicht klar erkennbar ist“ oder eine infrastrukturabhängige Vorleistung für das marktbeherrschende Unternehmen nicht mehr mit Kosten verbunden ist, weil sich seine Investitionen bereits amortisiert haben (Tz. 45). (3) Der Gerichtshof stellt zudem fest, dass es für die Missbräuchlichkeit einer Kosten-Preis-Schere nicht darauf ankommt, ob das Vorprodukt unentbehrlich für das Anbieten des Endprodukts ist (Tz. 72). Der Gerichtshof geht davon aus, dass bei Unentbehrlichkeit der Vorleistung die Kosten-Preis-Schere wahrscheinlich – zumindest potenziell – eine wettbewerbswidrige Wirkung habe. Umgekehrt seien aber auch bei Entbehrlichkeit des Vorprodukts wettbewerbsbeschränkende Wirkungen nicht ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang weicht das Urteil von den Schlussanträgen des Generalanwalts Mazák ab, der in der Unentbehrlichkeit eine Notwendigkeit sah und wettbewerbsbeschränkende Wirkungen von Margenbeschneidungen bei entbehrlichen Produkten, deren Belieferung das Unternehmen ganz verweigern kann, nicht erblicken konnte (vgl. Rz. 21 der Schlussanträge). (4) Hinsichtlich des Erfordernisses wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen hat der Gerichtshof seine Rechtssprechung aus dem Urteil Deutsche Telekom bestätigt. Für die Feststellung wettbewerbswidriger Wirkungen sei zwar kein Nachweis tatsächlich eingetretener Auswirkungen erforderlich. Vielmehr sei es ausreichend, wenn das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens potenzielle wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen habe (Tz. 64). Damit stellt der Gerichtshof jedoch erneut klar, dass Art. 102 AEUV im Hinblick auf die Kosten-Preis-Schere kein per se-Verbot enthält. (5) Ferner ist es nach Ansicht des Gerichtshofs für die Annahme einer Kosten-Preis-Schere nicht notwendig, dass das auf Vorleistungsebene herrschende Unternehmen den nachgelagerten Markt beherrscht (Tz. 83 ff.) oder die Leistungserbringung für den Marktbeherrscher auf der Vorleistungsebene reguliert ist (Tz. 47 ff.). (6) Schließlich geht der Gerichtshof auch auf die Möglichkeit eines sog. recoupment ein: So komme es bei einer Kosten-Preis-Schere nicht darauf an, ob das marktbeherrschende Unternehmen etwaige Verluste später wieder ausgleichen kann (Tz. 96 ff.).  

 

Weitere Entscheidungen zur Kosten-Preis-Schere (in zeitlicher Abfolge):

Entscheidung der Kommission vom 21.5.2003 zu Deutsche Telekom AG

(COMP/C-1/37.451, 37.578, 37.579)

Entscheidung der Kommission vom 4.7.2007 zu Wanadoo España/Telefónica

(COMP/38.784)

Urteil des Gerichts erster Instanz vom 10.4.2008 zu Deutsche Telekom AG/Kommission

(Rs. T-271/03)

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14.10.2010 zu Deutsche Telekom AG/Kommission

(Rs. C-280/08 P)

Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 29.3.2012 zu Telefónica/Kommission

(Rs. T-336/07)

(UPf)


Die Kosten-Preis-Schere ist auch Gegenstand des Forschungsprojekts Preisbezogene Behinderungsmissbräuche im ökonomisierten Unionskartellrecht.

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