Intern
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Weber

Besuch bei der Kanzlei Gleiss Lutz WS 2009/2010

Besuch bei der Kanzlei Gleiss Lutz in Stuttgart

Im Rahmen der Vorlesung "Kollektives Arbeitsrecht in der Praxis" von Herrn Dr. Diller nahm die Veranstaltung vom 10. Dezember 2009 einen besonderen Rahmen ein. Sie fand in den Räumlichkeiten der Kanzlei Gleiss Lutz in Stuttgart statt. Statt Hörsaalatmosphäre durften elf Studierende Kanzleiluft schnuppern.

Geplant war, mit den Teilnehmern eine betriebsverfassungsrechtliche Einigungsstelle nach § 77 BetrVG zu simulieren. Dabei handelt es sich um eine Art „betriebliches Schiedsgericht“, das dazu dient, gescheiterte Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu einer Einigung zu führen. In mehreren Gruppen hieß es, sich in die Rolle sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmerseite zu versetzen. Dazu wurde jeder Interessenvertretung ein zweiseitiger Sachverhalt ausgeteilt, der die Situation der Arbeitnehmer sowie des Arbeitgebers darstellte.  

Ziel war es eine Rahmenregelung zu finden, bei der die Interessen beider Parteien im Hinblick auf die im Betrieb zu leistenden Überstunden in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Im vorliegenden Fall ist der Arbeitgeber darauf angewiesen, dass seine Arbeitnehmer Überstunden leisten, um die Produktion flexibel an die Marktlage anzupassen. Nur so rechnet sich sein Unternehmern und es besteht auf Dauer. Auf der anderen Seite stehen die Ziele des Betriebsrats - zuvorderst natürlich Arbeitsplätze zu sichern. Jedoch sollen die Arbeitnehmer für ihr Zugeständnis, Überstunden zu leisten auch einen angemessenen Ausgleich erhalten - was vor allem die Frage betrifft, ob Überstundenzuschläge gewährt werden und ob die Überstunden wunschgerecht - durch Abfeiern oder Auszahlen - abgebaut werden können.

Wichtigstes Druckmittel auf Betriebsratsseite ist das in § 87 I Nr. 3 BetrVG ausgestaltete Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit - also Überstunden. Dies ist Dreh- und Angelpunkt der Verhandlung. Treffen die Parteien keine Betriebsvereinbarung, muss der Betriebsrat jeder einzelnen Überstunde zustimmen. Macht die Arbeitgeberseite jedoch Zugeständnisse, ist denkbar, dass der Betriebsrat einer Kontingentierungsregelung zustimmt, so dass der Arbeitgeber nicht mehr in jedem Einzelfall auf die Zustimmung des Betriebsrats angewiesen ist, sondern in dem zuvor einvernehmlich beschlossenen Rahmen Überstunden anordnen kann. Jedoch kann auch der Arbeitgeber seinen Interessen Nachdruck verleihen, indem er damit droht, bestimmte Betriebsteile stillzulegen.

Nachdem sich unter den Teilnehmern jeweils zwei Betriebsratsgruppen und zwei Arbeitgebergruppen - also zwei Mal die Zusammensetzung einer Einigungsstellen - gebildet hatten,  hieß es für alle, sich eine Strategie zu überlegen, die aufgezeigten Interessen gegenüber dem Verhandlungspartner durchzusetzen. Dazu wurde jede Gruppe in einen separaten Raum geführt und durfte, unterstützt von Anwälten der Kanzlei, einen eigenen Lösungsweg suchen, wobei die erfahrenen Arbeitsrechtler mit Rat und Tat zur Seite standen und Vorgehensmöglichkeiten aufzeigten. Nach einstündiger Vorbereitung ging es dann in die Verhandlung. Die Teams beider Einigungsstellen diskutierten unter sich und stellten schließlich jeweils eine Betriebsvereinbarung auf. Trotz des identischen Sachverhalts sahen die getroffenen Vereinbarungen sehr unterschiedlich aus, was nicht nur die Studierenden überraschte.

Anschließend bestand die Möglichkeit an einer Führung durch die Räumlichkeiten der Kanzlei teilzunehmen, was nicht nur aufgrund des überragenden Ausblicks über Stuttgart aus dem Konferenzraum im achten Stock lohnte. Zum Abschluss des Besuchs hatten die Studierenden im Rahmen eines kleinen Imbiss die Gelegenheit, sich mit den Anwälten der Kanzlei Gleiss Lutz auszutauschen.

Nicht zuletzt aufgrund der guten Organisation seitens der Kanzlei wird die Veranstaltung den Teilnehmern in angenehmer Erinnerung bleiben. Im Schwerpunktbereich bestand dadurch erstmals die Möglichkeit zuvor erlernte Theorie konkret am Fall anzuwenden und mitzuerleben, wie die Arbeit eines Arbeitsrechtlichers aussehen kann. Insofern ist es Herrn Dr. Diller und den Mitarbeitern der Kanzlei Gleiss Lutz gelungen, eine wichtige Verbindung zwischen Theorie und Praxis zu schaffen.

Anna-Katharina Endt